Spiegelzeltblog 2013
12. Juni 2013
DER MEISTER
Da war er wieder, der Mann, den der letztjährige Marlene-Gewinner Stefan Gwildis schon mal als Gott titulierte, und das Zelt lag ihm zu Füßen. Auch der Krrrtikrrr gesteht, sich auf diesen Abend mit Jochen Malmsheimer besonders gefreut zu haben, und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Denn sobald der Wortmächtige beginnt zu philosophieren, ergießt sich eine Flut von geistreichen und witzigen Bonmots von der Bühne, die zudem noch in höchster Sprachkultur vorgetragen werden.
Nachdem er eingangs wieder auf unnachahmliche Art den Programmaufbau und die Behandlung von Mobiltelefonen erläutert, liefert er schon damit ein wiederholtes Kabinettstück. Als er seinen Nachwuchs als Beitrag gegen die These „Die Deutschen sterben aus“ ins Feld bringt, und den Satz „Chill mal dein Leben“ als Running Gag einbringt, kann man sich schon nicht mehr satt hören an diesem Meister der Wortkunst, und kommt andererseits aus dem Lachen kaum heraus. Sprachschöpfungen wie die „Produkte aus der chinesischen Pädofaktur“,„Wombattanten“ mit denen er Liebhaber des australischen Getiers tituliert oder die „offene Naidooose“, die er einigen Mannheimern diagnostiziert, zeigen die hohe Intelligenz des studierten Germanisten und ehemaligen Buchhändlers aus Bochum.
Malmsheimer attackiert in seinem neuen Programm mit dem rätselhaften Titel „Ermpftschnuggn Trødå“ – Hinterm Staunen kauert die Frappanz“ Dummheit, Borniertheit fragwürdigen Zeitgeist an ihren Ursprüngen – der Sprache.
Malmsheimer kommt auch durchaus politisch daher, auch wenn das nicht vordergründig daherkommt. „Nur wer dauerhaft mit Scheiße durchgespült wird, wird von innen braun“ wäre da so ein repräsentativer Satz mit dem er sich positioniert. Aber auch die Geschichte einer Wortversammlung, bei der „chillen"“ und „Flurwoche“ einen Aufnahmetest bestehen müssen ist nicht nur brüllend komisch, sondern auch eine Parabel auf deutsche Engstirnigkeit.
Ein weiteres Thema ist der „schöne Mann um die fünfzig“ mit seinen Vorzügen und Problemen. Malmsheimer, selbst Jahrgang 61, ironisiert auf trefflichste („Die Frau als Irrweg, der Mann als Sackgasse“) und vermittelt urkomische Einblicke in die Kommunikationsprobleme der Neandertaler.
Der Künstler ist reaktionsschnell und schlagfertig. Wenn er den Inhalt seines Wasserglases als „Uferhydrat“ tituliert, einen siebenmaligen Durchlauf des Elements demonstriert oder als „Woge, auf der einst Agamemnon ritt“ persifliert, weist er sich auch in der Spontaneität als Meister seines Fachs aus.
Programmhöhepunkte sind die Psalmen, in denen er die Hose oder das Fernsehen sprachlich besingt. Im Duktus der biblischen Verkündigung trägt er wortgewaltig und salbungsvoll seine Kritik an Modealbernheiten und seichter Unterhaltung vor und bietet damit eine Lehrvorführung für jeden Schauspieler.
Malmsheimer kann aber auch herrlich absurd blödeln: wenn er die erste Reihe im Theater charakterisiert, Dialoge bei einer Hotelreservierung inmitten eines „blinkenden Rentnerergusses“ inszeniert oder Geschlechterfragen klärt, dann bleibt kein Auge trocken und das Zelt ist von kollektivem Lachen erfüllt.
Malmsheimers brillanter Kopf zeigt sich auch bei der Zugabe, die er zunächst verweigert, "weil das ja sonst erweisen würde, dass ich nicht alles gesagt hätte". Er lässt sich aber zu einer Nachreichung hinreißen, und wir begegnen noch einmal den Neandertalern und den Folgen von Intelligenz an falschem Ort.
Insgesamt ist „Ermpftschnuggn Trødå“ ein Abend, der aufgrund seiner Pointendichte auch in einer exakten Wiederholung fesseln und amüsieren könnte. Wer darauf nicht warten, oder das Programm noch einmal Revue passieren will, dem sei die gleichnamige CD wärmstens empfohlen. Und vielleicht wird sich auch ein Verlag finden, der diese Sprachakrobatik in Buchform herausbringt. Denn Jochen Malmsheimer kann sich neben literarischen Humoristen wie Mark Twain, Terry Pratchett und Robert Gernhardt schulbuchreif behaupten. Langanhaltendes BRAVO!
FAZIT
Ein saukomisches Hochamt der Sprach- und Schauspielkunst.
Und ein weiterer Marlene-Kandidat.
SPRUCH DES TAGES
„Männer können auch ohne Implantate dicker werden“
Jochen Malmsheimer
NACHREICHUNG
Psalm der Androhung bei Nichtwiederkunft
(pathetisch vorzutragen)
Oh, großer Jochen,
der du die textilummantelte Kulturstätte mit deiner trefflichen Kunst fülltest,
artig auf die Pausierung und die damit verbundenen Möglichkeiten hinwiesest,
und Obacht gabst auf die Bedürfnisse und Sorgen beiderlei Geschlechts,
und auch das Sächliche nicht vergaßest.
Wisse!
Dass du jederzeit willkommen in dem gestrigen Rund geheißen sein wirst,
da du dich den Brettern, welche die Welt bedeuteln mehr als würdig erwiesen hast.
Solltest du aber fürderhin beschließen, auf die Weimarer Ebenen zu verzichten,
so wisse,
dass der Krrrtikrrr samt einer brandschatzenden und marodierenden Jüngerschaft einfallen werden in deine Heimatstadt Bochum,
und dich an deinem halsnahen Countrygehänge
zur Stätte deines gestrigen Wirkens ziehen werden!
Pherdammich!
Amen!
SPLITTER
Bei der Begrüßung durch Martin Kranz lobte dieser Malmsheimers akustische Qualitäten. Der Künstler reagierte prompt, und versprach auch optisches Beiwerk: „Ich habe ein Hemd zum Wechseln mit!“
Im Spiegelzelt-Hintergrund wirken viele „gute Seelen“ mit, und sind Gewähr für die flüssigen Abläufe und die angenehme Atmosphäre. In loser Folge stelle ich einige der Zeltmitarbeiter vor.
Heute: Oliver Wickel (38)
Foto: Stefan Kranz
Was arbeitest Du beruflich außerhalb der Spiegelzelt-Saison?
Ich bin Kultur- und Eventmanager.
Und Dein Job im Spiegelzelt?
Ticketing, also ich kümmere mich um die Karten.
Was macht dir hier am meisten Spaß
Jeden Tag das Unbekannte und die permanente Weiterentwicklung.
Welcher Abend hat Dir am besten gefallen?
„Malediva“
Was war Dein nettestes Zelt-Erlebnis
Es gibt kein Spezielles, aber es ist Atmosphäre, die mich berührt.
Was wünschst Du Dir für das Zelt?
Dass das Team weiter so zusammenarbeitet. Und ich würde auf dieser Bühne gerne Gerhart Polt sehen.